CNL #3: Silent Meetings - wie Du bessere Entscheidungen in Meetings triffst

CNL #3: Silent Meetings - wie Du bessere Entscheidungen in Meetings triffst
Photo by Kaupo Kalda / Unsplash
"Meetings are a symptom of a bad organization. The fewer the meetings the better. [...] Run productive meetings. Different types of meetings require different forms of  preparation and different results.  Prepare accordingly." - Peter Drucker

Wer schon einmal in einer BIG COMPANY gearbeitet hat, kennt vielleicht dieses zynische Spiel: "Bullshit Bingo" - laut Wikipedia eine "humoristische Variante des Bingo-Spiels, die oft inhaltslose Verwendung zahlreicher Schlagwörter in Vorträgen, Präsentationen oder Besprechungen persifliert." Die Liste typischer, substanzarmer Redebeiträge in Meetings ist lang.

Mir wird jedes mal etwas unwohl, wenn jemand die Meeting-Teilnehmer "eingangs durch die Präsentation führt". In der Regel bedeutet das: BULLETS AD HOC zu halbwegs sprechbaren Sätzen zu formen - 15 oder mehr Minuten meines Lebens, die ich nie wieder zurückbekommen werde! Richtig gruselig wird es, wenn jemand seinen Redebeitrag mit dieser Formel einleitet: "ES IST SCHON ALLES GESAGT, NUR NOCH NICHT VON ALLEN" - Worte des Komikers Karl Valentin, die mutmasslich dazu gedacht waren, genau das, was dann kommt, zu verhindern.

In Stillen Meetings trifft Dein Team die besten Entscheidungen

Ich habe an weit mehr als 1.000 Meetings teilgenommen, im NGO-, Government-, Kanzlei- und Startup-Kontext. Die größten Herausforderungen dabei waren:

  • gute, fundierte Entscheidungen zu treffen
  • Partizipation aller Beteiligten
  • Wiederholungen und Bluffen (z.B. über fehlende Vorbereitung / fehlendes Problem-Verständnis oder fehlende Sachkunde) vermeiden
  • Multitasking vermeiden (gerade Anwälte scheinen das gern zu machen)
  • Zeitaufwand (und damit: Kosten) begrenzen
  • es gibt Studien, nach denen 92% der Beteiligten Meetings gegenüber negativ eingestellt sind bzw. sie für ineffektiv halten.
  • zu viele Meetings in einer Arbeitswoche verhindern konzentriertes, eigenständiges Arbeiten. Es gibt Untersuchungen, die davon ausgehen, dass 70% aller Besprechungen die Mitarbeiter davon abhalten, ihre eigentlichen Aufgaben zu erledigen. Einer anderen Untersuchung zufolge verbringen CEOs in einer 55-Stunden Arbeitswoche 18 Stunden in Meetings, 3 Stunden in Calls und 5 Stunden in Business Lunches - im Schnitt blieben für konzentriertes Arbeiten allein nur sechs Stunden die Woche übrig.

So geht es besser:

Einen Teil der Meetings ersatzlos streichen

Es gibt zahlreiche Szenarien, in denen Meetings einfach gestrichen werden können. Welche Form von Meetings wichtig sind, muss jeder selbst entscheiden. Meiner Erfahrung nach sind typischerweise solche Arten von Meetings gefährlich:

  • "JOUR FIXES" oder Status Updates, d.h. regelmäßig (meist wöchentlich) stattfindende Meetings, die unabhängig davon stattfinden, ob es Entscheidungen zu treffen gibt oder nicht. Das geht effektiver per Slack oder mit anderen Tools (z.B. Quantive, um OKR-Progress zu tracken). Es ist hingegen nicht nötig, dass dafür alle zur gleichen Zeit in einem Raum versammelt sind. Ausnahmen bei Jurafuchs: Jour Fixes mit nur zwei Teilnehmer:innen, um in einer remote Company ein persönliches Check-in als Ritual zu haben, genauso wie Jour Fixes mit Shareholdern.
  • Calls, in denen eine Kollegin ihrem Kollegen erklärt, wie etwas funktioniert. Erstellte stattdessen eine kurze Prozessdokumentation, z.B. in Tettra oder Loom. Das spart allen Zeit und die Dokumentation kann in Zukunft immer wieder verwendet werden. In der Regel lernt man auch schneller, indem man in der eigenen Geschwindigkeit ein Video oder eine Prozessbeschreibung durchgeht, und jederzeit darauf zurückgreifen kann. In einem Live-Call alles Wichtige mitzuschreiben und sofort zu verstehen, ist häufig schwieriger.
  • Meetings ohne Vorbereitung: Vorbereitung bedeutet natürlich nicht, eine Tagesordnung als Bullet-Liste zu versenden. Das ist keine inhaltliche Vorbereitung. Gute Daumenregel: Der / die Vorbereitende sollte wenigstens 5-10x so viel Zeit investiert haben, wie das Meeting lang ist, d.h. bei einem 1-Stunden Meeting wenigstens 5-10 Stunden.
  • Den Teilnehmerkreis reduzieren. Amazon hat dazu eine "Two-Pizza Team Rule". Bei Amazon werden danach Teams gebildet, die von zwei Pizzen ernährt werden können. Denn: Je größer ein Team ist, desto mehr Meinungen gibt es, und desto schwieriger wird es, Entscheidungen zu treffen.

Shopify hat kürzlich verkündet, alle wiederkehrenden Besprechungen mit mehr als zwei Personen abzuschaffen, eine "No-Meeting-Mittwoch"-Policy einzuführen und große Besprechungen (50+) auf ein sechsstündiges Zeitfenster am Donnerstag zu beschränken. Auf diese Weise seien 12.000 Kalenderereignisse gestrichen und (gerechnet auf das Jahr) über 322.000 Stunden Meetings gekürzt worden. HR-Chefin Tia Silas: "What would you imagine someone is going to say when you give them time back? It’s like, “Thank you!

Silent Meetings

This is probably the "smartest thing we ever did" at Amazon. - Jeff Bezos

Wenn nun aber in einem Meeting Ideen gesammelt und/oder wichtige Entscheidungen getroffen werden sollen (=sinnvolles Meeting), wie macht man das am besten? Unsere mittlerweile erprobte und geliebte Geheimwaffe bei Jurafuchs: SILENT MEETINGS. Als Erfinder der Silent Meetings gilt der Amazon-Gründer Jeff Bezos.

Schritt 1: Das Problem ausschreiben

Schreib das Problem aus - als eine Art Aufsatz. Gehe dabei auf alle denkbaren Optionen ein und trage alle relevanten Informationen zusammen. Das ist aufwändiger und verbindlicher  als ein paar Bullets zusammenzuschreiben, die alles bedeuten könnten. Es hilft aber dem Vorbereitenden und allen Teilnehmern ein tieferes Verständnis der tatsächlichen Knackpunkte zu erhalten.

Bei Jurafuchs schreiben wir jede Woche mehrere Tage an einem "Growth Call Brief", indem alle Themen, die wachstumsrelevant sind, erörtert werden. Das ist ein Google Doc, prall gefüllt mit Hypothesen, Entscheidungsvorschlägen, Argumenten und Charts.

Das schneidet bereits einen Großteil der typischen "Verständnisfragen" in klassischen Meetings ab. Wenn möglichst umfangreich alle relevanten Infos bereits zusammengetragen sind, braucht danach niemand mehr zu fragen.

Bei der Ausformulierung des Briefings kannst Du bei vielen Themen auch auf die Hilfe von Künstlicher Intelligenz zurückgreifen. Chat-GPT-4 erstellt - mit den richtigen Vorgaben - häufig sehr brauchbare erste Entwürfe.  

Schritt 2: 30 Minuten still Lesen & ggf. Kommentieren

Zu Beginn des Meetings lesen alle Teilnehmer:innen das Memo. Das dauert in der Regel ca. 30 Minuten - je nach Umfang auch mal kürzer oder länger. Unser Growth Meeting beginnt offizielle jeden Donnerstag um 11.30 Uhr. Von 11.30 bis 12.00 lesen alle in Ruhe den Growth Brief.

Das hat viele Vorteile:

  • Häufig sind Meeting-Teilnehmer unvorbereitet und verbringen einen Großteil des Meetings damit, die fehlende Vorbereitung zu überspielen und sehr fachkundig zu tun. Hier nicht nötig: Alle lesen gleichzeitig. Niemand braucht sich im Vorfeld vorzubereiten.
  • Jeder kann ungestört seine eigenen Gedanken sortieren und sich eine eigene Meinung bilden, evtl. fehlende Informationen ergänzen oder die Prämissen der Argumentation in Frage stellen.  
  • Wer Rückfragen hat, kann sie in Kommentaren hinterlegen. Wir nutzen Google Docs, da können alle simultan kommentieren. Ein Teil der Kommentare erledigt sich von selbst, weil die Frage später unten im Text beantwortet wird - das spart unnötige Nachfragen im Diskussionsteil des Meetings.
  • Es gibt dominante und eher zurückhaltende Charaktere. Gerade die stilleren Kolleg:innen erhalten auf diese Weise die Möglichkeit, ihre Gedanken und Ideen einzubringen. Häufig entstehen in diesem Abschnitt viel mehr Ideen als in allein verbalen Meetings.
  • Es macht allen irgendwie relativ große Freude, sich in Ruhe einzulesen. Es ist fast wie eine Art company-weite Stille-Zeit.

Schritt 3: Diskussion

Nachdem alle Teilnehmer:innen signalisiert haben, dass sie das Briefing vollständig gelesen haben, beginnt die Diskussion. Der/die Moderator:in braucht dann die einzelnen Themen NICHT mehr vorzustellen. Es genügt häufig, die Rückfragen und Einwände, die in den Kommentaren vorgetragen wurden, zu adressieren. Das sind häufig die kritischen Punkte, auf die es wirklich ankommt, die aber in klassischen Meetings häufig kaum oder gar keine Diskussionszeit bekommen. Hier stehen sie im Zentrum der Diskussion.

Substanzarme Kommentare gibt es eigentlich nicht in dieser Konstellation. Und wenn es sie gäbe, könnte der/die Moderator:in sie einfach übergehen. Auch das spart wertvolle Arbeits- und Lebenszeit aller Beteiligten.

Schritt 4: Ergebnisse dokumentieren

Wenn es doch einmal vorkommen sollte, dass das Briefing nicht alle relevanten Informationen enthielt, ist das Ergebnis einfach, dass diese eingeholt werden müssen, damit die Entscheidung beim nächsten Mal getroffen werden kann.

In jedem Fall halten wir die Ergebnisse der Diskussion im Meeting Brief fest. Das ergänzt bei uns der Moderator live im Call, so dass auch alle das Ergebnis sehen können.

Der Growth Call Brief dient bei uns neben der Vorbereitung des Calls zudem zur Dokumentation von Hypothesen, Entscheidungsfindungen und To Dos. Es ist dann ein leichtes, nach Ende des Calls To Dos auf die eigene Liste zu schreiben, indem man die Ergebnisse kurz noch einmal durchgeht.

Zusammenfassung / TL;DR

  • Die meisten Organisationen setzen zu viele ineffektive Meetings an. Das macht unproduktiv und unzufrieden.
  • Silent Meetings werden mit einem ausformulierten, mehrseitigen Aufsatz vorbereitet und beginnen mit einer ca. 30-minütigen Lesephase.
  • Das macht richtig Spaß und führt zu deutlich besseren Entscheidungen.