CNL #2:Wie Du die ersten 1.000 Nutzer für Dein Consumer-Produkt findest
"Learn to sell. Learn to build. If you can do both, you will be unstoppable." - Naval Ravikant
Wir hatten fast acht Monate damit verbracht, unser MINIMUM VIABLE PRODUCT, eine erste, sehr reduzierte Version unserer Jura-Lern-App zu konzipieren, zu designen und zu entwickeln. Und dann waren wir endlich so weit und reichten die App im App Store ein.
Wir hatten lange auf diesen Moment hingefiebert. Und wir waren aufgeregt: Wie würden die Jurastudierenden auf unsere App reagieren? Würden
sie mit der Navigation klarkommen? Hatten wir die Funktionalität zu stark reduziert? War es ein Problem, dass man mit der ersten Version "nur" aktuelle Rechtsprechung lernen konnte? Wie würden Universitäten und Profs reagieren - würde es womöglich einen SHITSTORM geben?
Kein Shitstorm - nicht mal ein Storm
Die Reaktion war ganz anders, als wir es uns ausgemalt hatten. Auf der einen Seite viel besser, auf der anderen Seite viel schlimmer. Denn es passiert: NICHTS... wirklich ÜBERHAUPT NICHTS!
Wie konnte das sein? Wir hatten doch alles in die App hineingelegt. Und wir boten unsere App sogar komplett kostenfrei an. Bei allen Herausforderungen mit der Produktentwicklung hatte ich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie wir die Lern-App bekannt machen würde. Jetzt war klar: Produktentwicklung war nicht einmal die halbe Miete. Wir mussten jetzt MARKETING lernen - oder jemanden finden, der das konnte.
Startups heben ab, weil die Gründer sie zum Abheben bringen.
Der Internet-Unternehmer und Y-Combinator Mit-Gründer Paul Graham hält auf seinem Blog einen wertvollen Hinweis für FIRST-TIME-FOUNDER parat:
"One of the most common types of advice we give at Y Combinator is to do things that don't scale. A lot of would-be founders believe that startups either take off or don't. You build something, make it available, and if you've made a better mousetrap, people beat a path to your door as promised. Or they don't, in which case the market must not exist. Actually startups take off because the founders make them take off. [... ] usually it takes some sort of push to get them going. - Paul Graham
Paul Graham vergleicht die Anfangsphase eines Startups mit einem Auto (bevor es Zündkerzen gab), dem man mit einer Kurbel einen Funken versetzen muss, um den Motor zu starten. Wenn der Motor dann läuft, fährt das Auto auch weite Strecken.
Aber warum sollte man Dinge tun, die nicht skalieren, um den Anfangs-Funken zu erzeugen? Graham meint, dass Marketing-Maßnahmen anfangs sehr händisch durchgeführt werden können. Auf diese Weise kann man schnell viele Ideen ausprobieren. Wenn ein Ansatz verfängt, kann man diesen im zweiten Schritt automatisieren, konsolidieren und perfektionieren.
Welche Kanäle gibt es also am Anfang und wie sind wir vorgegangen, um die ersten 1.000 Jurafuchs-Nutzer:innen zu finden?
1. Friends & Family
Wir hatten den Vorteil, dass Jurafuchs ein Problem löste, das wir selbst hatten: Das Lernen im Jurastudium zu verbessern. Wir gehörten praktischerweise selbst zur Zielgruppe. Wir mussten also "nur" andere Jurastudent:innen finden. Und davon kannten wir eine ganze Menge.
Wendelin und ich haben uns also hingesetzt und unsere Telefonbücher im Handy gezückt. Dann haben wir jeden Juristen kontaktiert, den wir persönlich kennen - FRIENDS AND FAMILY. Um die Motivation hochzuhalten, haben wir eine LaMetric-Anzeige installiert, die uns live die Download-Zahlen unserer App angezeigt hat. Bei jedem Download haben wir eine kleine Party gefeiert.
Wir haben alle darum gebeten, 1. die App herunterzuladen, 2. eine positive Rezension im App Store zu hinterlassen (möglichst mit 5 Sternen, was allerdings nicht alle gemacht haben), sowie 3. uns direkt ehrliches Feedback zu geben. Nach wenigen Tagen hatten wir - ohne Geld auszugeben - die ersten 300 Downloads, einige positive Rezensionen im App Store und erstes, wertvolles Feedback.
Zum Beispiel stellte sich schnell heraus, dass unser ursprünglicher Name "econtrario" eine deutlich schlechtere Wahl war als wir gehofft hatten. Es war fast unmöglich, die App jemandem mündlich zu empfehlen. Von "encontrario" über "E-contrario" bis "econtrarium" gab es so viel Miss- und Unverständnis und Achselzucken, dass wir den Namen bereits drei Monate nach dem Launch zu "Jurafuchs" änderten.
Zwischenergebnis: Die ersten ~300 Jurafuchs-Nutzer:innen waren Freunde & Bekannte, die Wendelin und ich persönlich kontaktiert hatten.
2. App Store
Die Rezensionen, die unsere Freunde & Bekannten im App-Store hinterließen, verhalfen unserem App Store Auftritt zu einer eigenen organischen Reichweite. Wenn jemand nach einem relevanten KEYWORD, wie z.B. "jura" oder "jurastudium" suchte, erschien unsere App sehr bald unter den Suchergebnissen. Apple misst den Bewertungen eine große Bedeutung bei und wir standen hier schnell bei 4,8 von 5 Sternen.
Die organische Reichweite im App Store ist nicht zu unterschätzen. Sie ist auch einer der Gründe, wie Apple die 30% (bzw. neuerdings bei kleinen Startups: 15%) Kommission rechtfertigt, die sie App-Entwicklern von jedem Umsatz abziehen.
Wir mussten dafür nicht viel mehr tun als die Bewertungen zu organisieren und die App so gut wie möglich zu beschreiben und mit Vorschau-Bildern zu bewerben.
Zwischenergebnis: Über den App-Store kamen ~200 weitere Nutzer:innen.
3. Dorthin gehen, wo Jurastudierende lernen - an die Uni
Wahllos Menschen auf der Strasse ansprechen war für uns keine Option - anders als etwa bei einer Sprachlern-App, die die breite Bevölkerung anspricht: Wenn wir Menschen zwischen 18 und 35 Jahren ansprechen würden, wären statistisch nicht einmal 0,5% davon Jurastudent:innen. Aber wir wussten, wo unsere Zielgruppe sich offline aufhält: in Jura-Vorlesungen und in den Juristischen Fachbibliotheken. Dort mussten wir hin!
Flyer
Wir druckten Flyer und stellten uns vor den Eingang der "Zweigbibliothek Rechtswissenschaft" der HU Berlin am Bebelplatz. Dort kamen morgens tatsächlich einige Jurastudent:innen vorbei. Wir boten allen Flyer an. Die wenigsten wollten welche haben. Die meisten schienen bereits in Gedanken versunken, im Kopf schon bei der nächsten Lektion aus dem "Eigentümer-Besitzer-Verhältnis". Wieviele Downloads uns das genau brachte, war zunächst unklar, aber wir merkten schnell, dass es nicht mehr als eine Handvoll am Tag sein konnten.
Hörsaal
Vor der Uni war doof - wir wollten jetzt IN die Uni hinein. Glücklicherweise einen gesprächsbereiten Jura-Professor. Nach einem persönlichen Treffen war er bereit, uns vor Beginn seiner Vorlesung eine kurze Ansage machen zu lassen. Wir durften Jurafuchs dem GESAMTEN HÖRSAAL vorzustellen!
Wendelin und ich feilten eine Weile an unserem Pitch und waren rechtzeitig vor der 8-Uhr-Vorlesung an der Uni. Wir erwarteten Großes. Wir waren auch sehr zufrieden mit unserer Vorstellung. Zum Schluss verwiesen wir auf unsere Flyer und legten einen ordentlichen Stapel am Ausgang aus, bevor wir den Hörsaal verließen. Gespannt verfolgten wir auf dem Handy die Download-Zahlen.
Sage und schreibe 3 der ca. 100 Studierenden luden unsere App herunter. WAIT, BUT WHY? Wir wussten es nicht! Wir versuchten dasselbe noch ein paarmal, bis uns der Zeitaufwand (wir brauchten fast eine Stunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur HU hin, und dann auch wieder zurück), zu lang wurde.
Kaffeebecher mit unserer Message
Den Ansatz, dorthin zu gehen, wo die Jurastudenten offline ohnehin schon versammelt waren, wollten wir aber noch nicht aufgeben. In der "Kommode" am Bebelplatz ist unten das TIM's Café, das vornehmlich von geplagten Jura-Studierenden aufgesucht wird. Wir schlugen dem Eigentümer folgenden Deal vor: Wir bedrucken Coffe-to-go Pappbecher mit Jurafuchs-Werbung und stellen sie dem Café kostenlos zur Verfügung. Das TIM's Cafe verwendet unsere Café Becher, wenn jemand Kaffee zum mitnehmen bestellt. Das Tim*s würde lästige Ausgaben für Papp-Becher sparen, wir würden Zugang zu den Jurastudierenden zum Materialpreis von Pappbechern bekommen. GENIAL!
Wir kauften 5.000 Pappbecher und brachten sie im Verlaufe mehrerer Wochen zum TIM'S - immer wenn der TIM's-Vorrat zur Neige ging. Lagerkapazitäten hatten sie dort nicht, deshalb standen die 20 Umzugskisten in meinem Wohnzimmer.
Wir kamen mit dieser Strategie über mehrere Monate auf ca. 500 Downloads insgesamt (von den ersten 1.000 Jurafuchs-Nutzer:innen kam aber nur ein kleiner Bruchteil über die Kaffeebecher) - in Anbetracht der Kosten für die Becher und der logistischen Herausforderung kein besonders guter Kanal. Wir erwogen noch kurz, Jurafuchs-Aufkleber zu drucken und sie Guerilla-mäßig auf Universitäts-Toiletten zu hinterlassen, verwarfen die Idee jedoch schnell, weil wir es uns mit den Unis nicht verscherzen wollten.
Zwischenergebnis
Flyer-Verteilung vor der Uni, die Vorstellungen im Hörsaal und die Kaffeebecher brachten uns knapp 100 weitere Nutzer:innen innerhalb der ersten 1.000.
4. Facebook-Werbeanzeigen
2018 verbrachten Jurastudierende - vor der Uni, in den Pausen und abends vorm Schlafengehen - noch viel Zeit auf Facebook. Und so schalteten wir mit Unterstützung eines guten Freundes (Bert - einem erfahrenen Online-Marketer), ein paar einfache Facebook-Anzeigen:
Die Anzeigen funktionierten enorm gut: Facebook setzte 2017 schon Künstliche Intelligenz ein, um die richtige Zielgruppe (bei uns: Jurastudierende) zu finden. Und da eine ganze Menge Studis auf die Anzeigen klickten, kostete uns ein Download weniger als 1,00 €. Wir investierten knapp 2.000 EUR eigenes Geld und hatten im Januar 2018 bereits über 2.500 Downloads.
Dieser Ansatz leutete für uns den Übergang von "nicht-skalierendem"-Marketing zu skalierbarem Online-Marketing ein. Über die nächsten Monate würden wir mithilfe von Facebook-Anzeigen auf mehr als 50.000 Downloads zu kommen.
Zwischenergebnis: Auch in Bezug auf die ersten 1.000 Nutzer:innen war Facebook der beste Kanal mit über 35% Anteil.
5. Nach Empfehlungen fragen
Das Beste, was einem Startup passieren kann, ist Mund-zu-Mund-Propaganda. Dafür müssen die EARLY ADOPTERS ziemlich begeistert von dem Produkt sein. Es kann auch helfen, nach Empfehlungen zu fragen bzw. es so einfach wie möglich zu machen.
Wir haben dazu bereits 2018 unsere LEADERBOARDS genutzt. Auf den Leaderboards können sich sowohl Einzelnutzer, als auch Gruppen miteinander messen. Im Gruppen-Kontext ist es sehr einfach, Freunde und Kommilitonen hinzuzufügen. Dafür haben wir ein Einladungssystem mit persönlichen REFERRAL-Links eingerichtet.
Das System hat den Vorteil, dass wir genau sehen können, wer wie viele Leuten erfolgreich Jurafuchs empfohlen hat. Dabei ist uns aufgefallen, dass es eine geringe Anzahl von Nutzer:innen gibt, die für eine hohe Anzahl an Empfehlungen zuständig sind. Das ist eine typische Verteilung. Es lohnt sich deshalb sehr, mit diesen Nutzer:innen in engem Austausch zu stehen und ihre Vorschläge und Bedürfnisse bei der Weiterentwicklung der App zu berücksichtigen.
Mund-zu-Mund ist auch heute noch einer der wichtigsten Wachstums-Kanäle bei Jurafuchs. Der größte Teil dieser Empfehlungen erfolgt über Kanäle, in die wir keine Einblicke haben (z.B. private Whatsapp-Nachrichten). Ein kleiner Teil kam aber über unsere App-Mechanismen zur Einladung von Freunden.
Zwischenergebnis: Von den ersten 1.000 Jurafuchs-Nutzer:innen kamen 31, d.h. ca. 3% über In-app-referrals.
5. Rückblick & Verpasste Chancen
Unsere Ausflüge an die Universität (mit Flyern, Vorstellungen im Hörsaal und Kaffeebechern) wirken im Rückblick - wenn man allein auf die Zahlen schaut - überflüssig. Tatsächlich haben wir dabei wertvolles Feedback erhalten von unserer Kernzielgruppe, das wir auf den anderen Kanälen nicht oder nicht so deutlich bekommen haben.
Pressearbeit (PR), Influencer-Kooperationen, und Content-Marketing haben wir erst deutlich später für uns entdeckt. Zu Beginn der Reise haben wir uns diese Kanäle entweder nicht zugetraut oder sie nicht gekannt. Wenn ich noch einmal von Neuem beginnen würde, würde ich ab dem ersten Tag Influencer-Kooperationen forcieren und Inhalte für Content-Marketing erstellen.
6. Zusammenfassung / TL;DR
- Kein Produkt - egal wie gut, egal ob kostenfrei oder nicht - verkauft sich von selbst. Als Gründer:in musst Du beides lernen: Produktentwicklung und Marketing.
- Als Startup musst Du Marketing-Kanäle finden, die skalieren. Setze anfangs aber auch bewusst auf Methoden, die nicht skalieren. Ein Startup braucht eine Art ersten Funken, um anzuspringen. Du lernst dabei viel über Dein Produkt, Deine Zielgruppe und über zukünftiges Marketing.
- Am Ende verfängt nur ein Teil der Ideen. Die meisten Hypothesen, die Du aufstellst, werden sich als falsch herausstellen. Das heißt nicht, dass die Ideen falsch waren: Das Aufstellen und Testen von Hypothesen ist die Haupt-Tätigkeit in einem Startup.
- Die ersten 1.000 Jurafuchs-Nutzer:innen haben wir so gewonnen:
~35% über Facebook-Anzeigen,
~30% über unsere eigene Ansprache von Freunden & Bekannten,
~20% über die Suche im Apple App Store,
~10% über Flyer und Kaffeebecher,
~3% über Empfehlungen von Nutzer:innen aus der App heraus.
Danke fürs Lesen!
Das Leben bleibt ein Abenteuer,
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