CNL #1: Vom Anwalt zum Startup-Gründer - Warum sollte man gründen?
"Arm yourself with specific knowledge [...]. Specific knowledge is knowledge you cannot be trained for. If society can train you, it can train someone else and replace you. Specific knowledge is found by pursuing your genuine curiosity and passion rather than whatever is hot right now. Building specific knowledge will feel like play to you but will look like work to others. When specific knowledge is taught, it’s through apprenticeships, not schools." - Naval Ravikant
Sektkorken, kurze Ansprache, Anstoßen, die Firma war verkauft. Mein Freund Steffen hatte es geschafft, EXIT! Ich stand in seiner Altbauwohnung in der Torstraße in Berlin-Mitte. Das Ganze fühlte sich surreal an. War es nicht eine quasi-Gewissheit, dass STARTUPS am Ende scheitern? Dazu passte jedenfalls nicht, dass das übernehmende Unternehmen in seinem Startup mit 80 Mitarbeiter:innen und 16.000 Kunden einen erheblichen Wert sah - und ihm einen hübschen Exit-Erlös bescherte. Steffen würde ab jetzt mit seiner Zeit anfangen, was er wollte. Ich fragte mich unweigerlich, ob ich den richtigen Karriereweg eingeschlagen hatte.
Jura zur Bekämpfung von Missständen
Hatte ich! John Grisham's "Rainmaker" war es, der mich zum Jurastudium hingezogen hatte, seitdem ich 16 Jahre alt war. Das Rechtssystem verstehen und beherrschen, um es mit betrügerischen Versicherungen und anderen Bösewichten aufzunehmen - das versprach Spannung und PURPOSE. Zwei Staatsexamen und einen Master of Laws später war ich angekommen wo ich hinwollte, um Juristisches Schreiben und Prozessieren auf höchstem Niveau zu erlernen: bei Hengeler Mueller im Bereich DISPUTE RESOLUTION. Der Plan ging auf: die Mandate waren anspruchsvoll, die Kolleg:innen hochkarätig, meine Lernkurve steil. Und, schöner Nebeneffekt: Gesellschaftlicher Status: sehr angenehm!
Ich hatte auch nach der Hälfte meines Jurastudiums einen Weg gefunden, dieses Jura für die Bekämpfung eines Missstandes einzusetzen: Die internationale Menschenrechts-NGO International Justice Mission kämpft gegen moderne Sklaverei, indem sie Einzelfälle von Sex- und Arbeitssklaverei, Schuldknechtschaft und anderen Formen alltäglicher Gewalt gegen Arme vor die lokalen Gerichte bringt. 2008 habe ich den deutschen Ableger IJM Deutschland e.V. mitbegründet und seitdem engagiere ich mich in der strategischen Ausrichtung des Vereins. Für ein paar Monate durfte ich auch als Legal Fellow in unserem Büro in Manila/Philippinen mitarbeiten und bei einer Razzia in einem Bordell und diversen Gerichtsverfahren dabei sein.
Anwalt sein war sehr lehrreich. Und die Arbeit machte mir große Freude - bis ich Kinder bekam. In ihrem ersten Lebensjahr habe ich meine Tochter unter der Woche wenig gesehen. Häufig 45 Minuten am Morgen, danach nicht mehr. Als Anwalt war ich sehr fremdbestimmt in meiner Zeiteinteilung: Ferien, freie Wochenenden, der Start am Montagmorgen, das Arbeitsende am Freitagabend - alles hing ab von den Fristen des Schiedsgerichts, von Mandanten- und Partner-Vorgaben. Auch Kanzlei-Partner:innen brechen Familienurlaube ab und lassen Geburtstage ausfallen wenn sie vom Mandanten gebraucht werden.
Das Startup-Game: Eigene Regeln, eigene Maßstäbe
Anfangs fehlten mir geeignete Maßstäbe, um das BUSINESS MODEL und die EXECUTION von Steffen und seinen Mitgründern zu beurteilen. Was zeichnet ein gelungenes Geschäftsmodell aus, welches ist zum Scheitern verurteilt? Wo verlaufen die Leitplanken, innerhalb derer sich das Unternehmen bewegen sollte? In welchen Situationen ist Alarmstufe rot auszurufen, wann ist Wachstum (obschon erratisch) "gesund" oder sogar herausragend? Und welche Bereiche kann (und sollte) man vernachlässigen?
Wie vielleicht die meisten Außenstehenden verfolgte ich Steffens Startup interessiert, aber tendenziell kritisch. Wenn geeignete Maßstäbe fehlen, schaut man eben auf das externe Erscheinungsbild: Die Büros waren lange durcheinander, vollgestopft wie ein Flohmarkt mit ausrangierten Möbeln, nerdigen Accessoires und IKEA-Regalen. Die Mitarbeiter-Zahl stieg nur langsam und Freelancer kamen und gingen. Und Steffen berichtete mir über die Jahre von unzähligen Umwegen, Rückschlägen, auch Meinungsverschiedenheiten, nervenaufreibenden Problemen, von Buchhaltung bis Recruiting. Alles irgendwie provisorisch!
Und das Dramatischste: Steffen war ja gar kein Startup-Experte! Alles SELF-TAUGHT. Und war das nicht eigentlich auch karrieremäßig riskant, ohne "richtige" Joberfahrung nach der Uni? Das STARTUP GAME ist gnadenlos: Du bist der Spinner, bis sich Deine Idee durchsetzt. Und wenn es nicht klappt, haben es alle vorher gewusst. Und es gibt keine Anerkennung fürs Versuchen.
“The man with a new idea is a crank until the idea succeeds.” - Mark Twain
“One of the great and terrible things about starting a start up is that you get no credit for trying.” - Sam Altmann
Aber wenn es klappt, sind alle geschockt. So ging es mir selbst. Als ich dort in Steffens Wohnung stand, mit einem Glas Sekt in der Hand, wurde mir bewusst, dass ich viel zu spät verstanden hatte, dass sein Startup funktionieren würde. Für meinen Geschmack hatte ich zu wenig zu diesem Erfolg beigetragen. Ich hatte viel zugehört und zu zwischenmenschlichen Fragen beraten. Aber ich wünschte, ich hätte an der einen oder anderen Stelle insgesamt ermutigende Worte gefunden oder einen richtig guten Tipp gegeben. Aber mir fehlte das Handwerkszeug, um meinen Freund zu beraten. Meine Juristische Ausbildung war hier nutzlos. Und mir fehlte der Überblick, um eine ernst gemeinte positive Entwicklungsprognose abgeben zu können. Für das alles schämte ich mich jetzt.
Wenn man mit einer neuen Idee, die sich noch nicht durchgesetzt hat, ein CRANK ist, war ich jetzt der Spinner: Denn ich war vor ein paar Monate selbst FOUNDER geworden, hatte mit Steffen und Wendelin ein eigenes Startup gegründet ("Jurafuchs"). Und die Idee, juristische Bildung per App umzusetzen war alles andere als common sense.
Das Startup-Game hat eine enorme Anziehungskraft auf mich, insbesondere die Gestaltungsfreiheit, die Chance, etwas ganz Neues, nützliches zu schaffen, und das Potential zu SKALIEREN. Startups können, wenn sie ein echtes gesellschaftliches Problem nicht nur besser lösen, sondern viel besser lösen, EXPONENTIELL wachsen. Und wer es schafft, Prozesse konsequent zu automatisieren, kann mit einem kleinen Team viel bewegen - LEVERAGE statt billable hours. Steffen's Startup-Reise hatte ich aus erster Reihe mitverfolgt. Und ich war HOOKED!
Zudem - und das würde ich erst später verstehen - bietet die Gründung eines Startups einzigartige Voraussetzungen dafür, "spezifisches Wissen" zu erwerben, d.h. Kenntnisse und Fähigkeiten, die man nicht einfach in einem formalen Schulungs- oder Ausbildungsprozess erlernen kann. Spezifisches Wissen ist oft eng mit den individuellen Fähigkeiten, Interessen und Erfahrungen verknüpft. Der Unternehmer und Investor Naval Ravikant sieht es als Schlüsselfaktor für einzigartige Wertschöpfung und persönlichen Erfolg, weil spezifisches Wissen:
- sich nur schwer oder gar nicht automatisieren oder auslagen lässt ("cannot be commoditized")
- oft zu Innovationen führt
- oft den eigenen Interessen und persönlicher Leidenschaft entspringt und deshalb häufig befriedigender ist und sich beim Erwerb oft nicht wie Arbeit anfühlt.
Wieder blutiger Anfänger sein
Ein Unternehmen ist nichts anderes als eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam ein Produkt oder eine Dienstleistung schaffen. Anfangs ist diese Gruppe aber noch sehr klein. Plötzlich war mein Büro: BEI UNS ZU HAUSE, unser Produkt: UNAUSGEREIFT; unsere Finanzierung: reichte nie mehr als 6-10 Monate, d.h. ALLES ANDERE ALS GESICHERT. Meine Eltern haben mich schon immer in allem unterstützt, aber jetzt begannen sie, sich Sorgen um mich zu machen ("Wir hoffen echt, dass das alles so klappt, wie Du es Dir vorstellst."). Und meine Frau Mareike wurde plötzlich belehrt von Freunden, Verwandten, Bekannten und - ja! - Unbekannten: "So etwas würde ich meinem Mann NIEMALS ERLAUBEN." Auch meinem Umfeld fehlten offensichtlich geeignete Maßstäbe.
Sechs Jahre später erlaubt Mareike mir das immer noch (und meine Eltern machen sich noch immer dieselben Sorgen.) Unser Startup wächst und wird dieses Jahr zum ersten Mal CASH FLOW POSITIV sein, trotz TECH RECESSION und einem insgesamt kühlen makroökonomischen Gegenwind. Ich habe auf diesem Weg in den letzten sechs Jahren gefeiert, triumphiert, gelitten und geflucht, die ersten fast vier Jahre allein in Vollzeit (was wirklich einsam war), danach mit Wendelin zusammen (jetzt ist es nicht mehr einsam ❤️). Wir sind zwar noch weit von unserem Ziel entfernt, juristische Bildung für alle mit allen Tools, die die Digitalisierung bereithält, zu verbessern, zu beschleunigen - ja zu FIXEN.
Fast hätte ich diesen Weg selbst nicht gekannt
Aber heute habe ich das Gefühl, geeignete Maßstäbe zur Hand zu haben, um das, was ich bis hierhin erlebt habe, einzuordnen. Ich werde häufig von Freunden und Bekannten gefragt, wie das alles geht mit dem Gründen, wie es sich anfühlt, wie man die Finanzierung sichert, ob es sich lohnt, die eigene Geschäftsidee zu verfolgen, was man dafür braucht u.vm. Hier schreibe ich es auf: Einmal wöchentlich, ein Thema, meine ganz persönlichen Erfahrungen - was ich in 6 Jahren Jurafuchs über den Aufbau eines Startups gelernt habe.
Es gibt keine STARTUP-UNIVERSITY. Nur Vorbilder. Und Mentoren. Alles andere, was Du dafür brauchst, lernst Du beim Gründen selbst. Und ich habe die Hoffnung, dass ich mit meiner Geschichte vielleicht die eine oder andere Person begeistern und anstecken kann, so wie Steffen es mit Wendelin und mir gemacht hat. Denn es gibt ihn, diesen alternativen Weg. Und ich möchte gern Werbung dafür machen. Denn fast hätte ich ihn selbst nicht gekannt. Dabei ist Gründen das, was mir mittlerweile am meisten Freude bereitet.
“Life can be much broader, once you discover one simple fact, and that is that everything around you that you call life was made up by people that were no smarter than you.” - Steve Jobs
Danke fürs Lesen!
Das Leben bleibt ein Abenteuer,
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